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Direkte Demokratie: Partizipation ist keine Spielwiese!
Zugegeben: Auch ich war lange Zeit ein glühender Verfechter der direkten Demokratie. Denn Partizipation heißt doch weitaus mehr, als alle vier oder fünf Jahre ein Kreuz bei einer Partei zu machen, die schon Stunden nach ihrer Wahl wieder vergessen hat, was sie davor versprach.
Zum Umdenken brachte mich allerdings ein einziges Ereignis: In der Schweiz, dem Musterland für die direkte Demokratie, war es gelungen, einen Antrag auf Abstimmung über die Wiedereinführung der Todesstrafe so weit zu bringen, dass ein Entscheid der Bürger/innen darüber möglich gewesen wäre. Nur, weil die Initiatoren ihren Vorstoß wieder zurückgenommen hatten, kam es letztlich nicht zum Urnengang. Wahrscheinlich hätten völkerrechtliche Bestimmungen zwar dagegen gesprochen, ein »Ja« des Schweizer Volkes zu ratifizieren. Aber welche Botschaft ginge aus ihm hervor?
Populismus macht Politik, solange er nicht gezügelt wird. Nein, ich spreche den Menschen nicht die Fähigkeit ab, die Tragweite existenzieller politischer Fragen zu verstehen. Doch oftmals fehlt uns heute die Zeit – die nötige Muße – uns über Auswirkungen unseres Wahlverhaltens Gedanken zu machen. Ironisch gesagt: Wie gut, dass viele Volksentscheide plakativ gehalten sind! Da reicht es, wenn wir als Stimmbürger/innen auf unser Gefühl hören – und damit die Anfälligkeit direkter Demokratie offenbaren. Denn sie schafft es nicht, die Dimension ihres möglichen Ausgangs zu vermitteln.
Partizipation ist keine Spielwiese, auf der wir uns ausprobieren dürfen. Unsere Entscheidungen sind verbindlich, wir schaffen Tatsachen. Und im Zweifel gibt es nichts und niemanden, der manch eine Stammtischpolemik abfedern würde. Wie würden wir wohl abstimmen, wenn es um Steuerpolitik, Haushaltsfragen oder Kriegseinsätze, um Abtreibungen, Sterbehilfe oder andere heikle Themen ginge, die so anfällig sind für Emotionen? Wir würden unsere Kreuze dort setzen, wo das Ergebnis uns persönlich den größten Gewinn bringen würde. Gerade in einem Zeitalter, in dem wir vornehmlich an uns selbst denken, traue ich es uns als Stimmvolk nicht zu, über den Tellerrand hinaus zu blicken.
Nein, die repräsentative Demokratie, sie befriedigt mich keinesfalls. Doch auch die direkte Demokratie ist in ihrer Absolutheit keine Alternative für mich. Sie einzugrenzen ist eine Aufgabe, die unter dem aktuellen »Mainstream« nicht gelingen kann. Hier liegt das eigentliche Problem der direkten Demokratie.
Sie gestaltet Politik aus unserer momentan empfundenen Situation heraus. Zweifelsohne: Das stellvertretende System, in welchem unsere Verfassungsorgane – der Bundestag oder der Bundesrat – wie ein abfedernder Pflock wirken, ist im Unterschied dazu tatsächlich träge. Da dauert es oft Monate und Jahre, bis ein konkreter Beschluss gefasst wird. Doch dieses sorgfältige Vorgehen schützt uns vor Reaktionismus. Es ist deshalb viel eher die beratende, mitgestaltende, aber nicht mitentscheidende Bürgerbeteiligung, die ich als Gewinn für unsere Demokratie ansehe. Politiker müssen dazu angehalten werden, auch während der Amtszeit mit ihren Wählern zu sprechen, deren Wünsche und Vorstellungen ernst zu nehmen, ihren Rat anzuhören, ihre Argumente zu verstehen. Sie können auf dieser Basis aus ihrem Gewissen heraus eine Entscheidung zu treffen, die die Bandbreite der Meinungen widerspiegelt. Befreit von Eigennutz, Tagesform oder Opportunismus.
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