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Beteiligung zeitgemäß gestalten: Schnittstellen für eine kluge Verzahnung formeller und informeller Beteiligungsprozesse
Spätestens seit Stuttgart 21 ist deutlich geworden, dass die bestehenden formellen Verfahren der Information und Anhörung nicht mehr ausreichen, um einen Beteiligungsprozess erfolgreich zu gestalten: Bürgerinnen und Bürger fühlen sich bei der Planung von Infrastrukturvorhaben nicht ausreichend gehört und schlecht informiert. Die weitere Ausgestaltung der gesetzlichen Grundlagen in Bezug auf weitere Beteiligungsmöglichkeiten der Öffentlichkeit ist eine Möglichkeit, auf die bestehenden Probleme zu reagieren. Die aktuelle Diskussion zum Verwaltungsverfahrensgesetz zeigt, dass der Gesetzgeber dies erkannt hat (Netzausbaubeschleunigungsgesetz NABEG; Novellierungen VwfG §25).
Eine weitere Möglichkeit ist es, Infrastrukturprojekte durch den Einsatz informeller Verfahren, die mit den Trägerverfahren sinnvoll verzahnt sind, auf den Weg zu bringen. Informelle Verfahren weisen durch fehlende bzw. freier ausgestaltbare gesetzliche Grundlagen einen größeren Gestaltungsspielraum auf und können damit besser auf die gesellschaftlichen Bedürfnisse sowie die spezifischen Rahmenbedingungen eingehen. Beispielsweise kann weitgehend selbst bestimmt werden, welche Themen und Fragestellungen behandelt werden und welche Informationsgrundlagen hierfür notwendig sind. Um ein passgenaues Zusammenspiel zu erreichen, sollten informelle Beteiligungsverfahren dabei nicht in einem formellen Sinne eng mit den Trägerverfahren verbunden werden: Vielmehr sind sie so zu verzahnen, dass die informellen Verfahren die für ihren Mehrwert erforderliche Flexibilität erhalten.
Wenn eine solche Verzahnung klug durchgeführt wird, können informelle Verfahren zu neuen Lösungs- und Gestaltungsansätzen führen, gepaart mit einer hohen Verbindlichkeit und Rechtssicherheit der Ergebnisse durch die Anbindung an formelle Verfahren. Gerade diese Kombination von Flexibilität und Rechtssicherheit ist es, die eine neue Beteiligungskultur sowie eine Verzahnung formeller und informeller Verfahren zu einem Baustein für zukünftige Infrastrukturprojekte in Deutschland werden lässt.
Eine informelle Beteiligung sollte bereits im Vorfeld der Planung eines Vorhabens ins Leben gerufen werden, in vielen Fällen bezieht sich dies auf die Ebene der Raumordnung. Auf dieser Ebene wird entschieden, ob ein Vorhaben überhaupt umgesetzt wird beziehungsweise welche Alternativen für die Umsetzung des Vorhabens geprüft werden. Die gesetzliche Pflicht zur Öffentlichkeitsbeteiligung bei umweltrelevanten Vorhaben bietet entsprechende Anknüpfungspunkte (z.B. Strategische Umweltprüfung).
In der folgenden Grafik wird die Verknüpfung zwischen einem Genehmigungsverfahren (Trägerverfahren) und einem informellen Dialogforum als zentraler Baustein des informellen Verfahrens skizziert. Mit Blick auf eine bessere Verständlichkeit werden die Unterschiede zwischen vorgelagerten Verfahren und Zulassungsverfahren sowie zwischen den verschiedenen fachgesetzlichen Verfahren ausgeblendet.
Abbildung: Zentrale Schnittstellen von Träger- und Dialogverfahren Zur vergrößerten Ansicht klicken Sie bitte auf die Grafik.
Fazit: Eine zeitgemäße und effektive Bürgerbeteiligung bei Infrastrukturprojekten setzt neben der formalen Beteiligung auf informelle Beteiligungsmöglichkeiten und stellt deren enge Verzahnung sicher. Erfolgsfaktoren für die Umsetzung des Dialogverfahrens und damit auch des Infrastrukturvorhabens sind dabei eine hohe Verbindlichkeit der Ergebnisse, eine vorausschauende Gestaltung der Schnittstellen sowie ein fundiertes Prozesswissen und eine von allen Akteuren getragene Beteiligungskultur.
Weitere Informationen zu diesem Thema:
- »Akzeptanz und Infrastrukturprojekte: Formelle durch informelle Beteiligung ergänzen mehr Rechtssicherheit durch gelungene Partizipation« (M. Richwien, A. Versteyl und H. Banthien, Zeitschrift für Politikberatung, 2012, Heft 2)
- »Werkzeugkasten Dialog und Beteiligung« (Geschäftsstelle »Dialog schafft Zukunft« NRW, im Erscheinen, www.dialog-schafft-zukunft.nrw.de).
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