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Alle ins Boot! Bürgerbeteiligung darf kein Projekt für Eliten sein


»Die, die hier sind, sind die Richtigen.« Dieser Spruch gilt seit langer Zeit als Devise bei der Umsetzung von Beteiligungsverfahren. Doch ist das wirklich so?
Zweifel sind angebracht: Nicht alle für ein Thema wichtigen Akteurinnen und Akteure lassen sich einfach in Bürgerbeteiligungsprozesse einbeziehen. Die Realität zeigt, dass wir mit den klassischen Kommunikationsstrategien und Beteiligungsangeboten bestimmte Akteursgruppen nicht erreichen.
Oftmals beteiligen sich immer »die Gleichen«. Diese vielfach engagierten Menschen gehören meist zu den gebildeten und gut situierten Milieus und den Eliten unserer Gesellschaft. Sie sind ohne Frage wichtig für unsere Demokratie und gesellschaftliche Entwicklung. Das darf uns aber nicht reichen.
Bürgerbeteiligung braucht die Mitwirkung aller relevanten Akteursgruppen, um ihrem Anspruch nach demokratischer Mitgestaltung gerecht zu werden und zu fundierten, tragfähigen und zukunftsträchtigen Ergebnissen zu gelangen.
Wir brauchen auch die Meinungen »der Anderen«, die nicht so leicht zu erreichen sind und die sich aufgrund ihrer Lebenssituation, ihrer Bildung oder gesellschaftlichen Stellung nicht oder nur in geringem Maße artikulieren können oder wollen.
Doch wie kann dies gelingen? Wie schaffen wir es, Menschen zu erreichen, denen die Beteiligung »nicht nahe liegt« und die unter Bedingungen leben, die politische Teilhabe erschweren? Wie können wir z.B. Migrant/innen, perspektivlose Jugendliche und Erwachsene, die am Rande unserer Gesellschaft leben, für Beteiligung gewinnen und sie dabei unterstützen, ihre Interessen zu artikulieren?
Zunächst gilt es zu ergründen, warum wir – welche – Menschen nicht erreichen. Wo liegen die Barrieren, Hemmnisse und Hinderungsgründe? Die Ursachen liegen auf verschiedenen Ebenen und sind nicht einfach zu fassen. In jedem Fall lassen sich die Gründe für »Nicht-Beteiligung« nicht allein auf Sprachbarrieren, mangelndes Interesse oder Bildungsferne reduzieren. Vielmehr müssen wir auch darüber nachdenken, wie die Beteiligungsangebote und ihre Rahmenbedingungen heute gestaltet sind: Stellen wir den Menschen – und unserer Gesellschaft insgesamt – die richtigen Fragen? Schaffen wir es, das für eine Zusammenarbeit notwendige Vertrauen aufzubauen? Erreichen wir die Menschen mit den von uns gewählten Kommunikationswegen? Vor allem gilt es aber zu ergründen, welche Mechanismen der Ausgrenzung in unserer Gesellschaft greifen und warum die Distanzen zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Milieus immer größer werden.
Erst wenn wir genau wissen, warum Menschen nicht teilhaben, können Strategien entwickelt werden, dem zu begegnen. Die notwendigen Ansatzpunkte sind dabei so vielfältig, wie die Hemmnisse selbst. Auch hier greifen keine singulären Lösungsansätze. Vielmehr bedarf es des Zusammenspiels verschiedener Handlungsansätze.
Beteiligungsangebote müssen zur richtigen Zeit am richtigen Ort stattfinden – und die richtige (An-)Sprache wählen. Für viele der schwer erreichbaren Gruppen ist meist nicht der Gemeindesaal oder das Internetportal der Platz, an dem sie diskutieren wollen und können. Die Prozesse selbst müssen verlässlich, stabil und transparent gestaltet werden, so dass das notwendige Vertrauen aufgebaut werden kann. Wir müssen Diskurse organisieren, die mit wenig und einfacher Sprache auskommen und die alle – nicht nur die Wortgewandten – zum Mitmachen einladen.
Dabei können wir aus einer ganzen Menge erprobter Ansätze und gelungener Projekte lernen. Sie reichen von »Planning for Real«-Verfahren über die Jugendräte für Hauptschülerinnen und -schüler (z.B. in Berlin) bis hin zur »Aktivierenden Befragung« und vieles mehr.
Es gilt, die Erfahrungen aus gelungenen Projekten zu reflektieren. Sie müssen zugänglich gemacht und systematisiert werden, damit wir übergreifende Strategien zur Einbeziehung schwer erreichbarer Gruppen entwickeln können. Letztlich muss sich aber vor allem die alltägliche Praxis der Bürgerbeteiligung ändern. Wenn wir den Anspruch erfüllen wollen, alle »ins Boot« zu holen, gilt es ausgetretene Pfade zu verlassen. Beteiligung kostet dann auch etwas mehr Geld und Zeit. Aber es lohnt sich. Diejenigen, die dann »da sind« sind auch diejenigen, die wir brauchen, um unsere Gesellschaft zu stabilisieren und unsere Zukunftsprojekte auf sichere Beine zu stellen.
Doch dies ist nur die eine Seite der Medaille. Es ist die Seite, von der in den Prozessen vor Ort konkret Einfluss genommen werden kann. Zentrale gesellschaftliche Problemfelder können in den kommunalen Beteiligungsprozessen punktuell abgeschwächt, aber nicht umfassend gelöst werden. Mangelnde gesellschaftliche Einbindung und schwierige, mit Problemen behaftete Lebensbedingungen sind grundlegende gesellschaftliche Herausforderungen. Um alle ins Boot zu holen gilt es deshalb, Integration aktiv zu gestalten und Mechanismen der Ausgrenzung zu überwinden. Es müssen gesamtgesellschaftliche Ansätze entwickelt werden. Nur wenn es gelingt, dass sich alle Menschen, die mit uns leben, als Teil unserer Gesellschaft verstehen (können) und sich in ihr aufgehoben fühlen, werden wir eine fundierte Basis für gelungene Teilhabe erlangen. Gefragt sind also die Akteure vor Ort, aber auch die politischen und gesellschaftlichen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger, die die Weichen für eine wirkliche Integration stellen müssen.

Dieser Standpunkt ist zuerst erschienen auf »partizipation.at« (www.partizipation.at, Juli 2012).


Hilmar Sturm, 12.12.2012 20:38 Uhr:
Ein paar praktische Punkte dazu:
1.) Man bekommt alle, wenn man sie überhaupt einlädt. Persönliche Einladung ist besser als über Zeitung usw.
2.) Mit einer Zufallsauswahl (wie bei Bürgergutachten durch Planungszellen) lädt man wirklich Menschen aller Schichten und Gruppen ein. Sehr viele davon machen dann auch mit.
3.) Damit sie teilnehmen können, stellt man Unterstützung bereit, individuell, vom (Gebärden-) Dolmetscher über den Fahrdienst bis zur Kinderbetreuung.
4.) Damit man es sich leisten kann mitzuarbeiten, sollte es eine Aufwandsentschädigung geben. Sie signalisiert auch, dass es Arbeit im Dienste des Gemeinwesens ist und nicht nur mal so eine Diskussion.
5.) Es muss um was gehen, das heißt, die beteiligten Bürger/innen aller Art müssen das berechtigte Gefühl haben, dass ihre Arbeit relevant ist.

Die "Beteiligungseliten" dominieren dann, wenn "allgemein" eingeladen wird. Deshalb plädiere ich für die Zufallsauswahl.


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