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Heidelberg: »Leitlinien für Bürgerbeteiligung« haben ersten Stresstest bestanden


Mit dem Bürgerentscheid zum Umbau der Stadthalle im Jahr 2010 setzte in Heidelberg ein entscheidender Umdenkungsprozess ein. Die Politik –– allen voran der Oberbürgermeister –– waren sich dessen bewusst geworden: Ohne eine frühzeitige und auf Mitgestaltung ausgerichtete Bürgerbeteiligung sind wegweisende städtische Entscheidungsprozesse kaum mehr möglich. Dabei war Heidelberg bereits erfahren auf dem Feld der Bürgerbeteiligung. Schon unter der früheren Oberbürgermeisterin Beate Weber spielte Heidelberg in der ersten Liga der Städte, die auf Bürgerbeteiligung Wert legten. Was jedoch fehlte, war ein verlässlicher und dauerhafter Ansatz, um die Zusammenarbeit zwischen Bürgerschaft, Politik und Verwaltung zu gestalten. Deshalb beschloss der Gemeinderat im Frühjahr 2011 die Einsetzung eines »trialogischen« Gremiums aus Bürgervertretern, Gemeinderatsmitgliedern und Verwaltungsangehörigen. In mehreren Arbeitskreis- und Redaktionssitzungen entwickelte das trialogische Gremium Regeln in Form von »Leitlinien« mit dem Ziel, mitgestaltende Bürgerbeteiligung verlässlicher in städtischen Planungs- und Entscheidungsprozessen zu verankern und zu intensivieren. Die wesentlichen Schritte des erarbeiteten Konzeptes sind (vgl. Abb. 1): Die Stadt informiert Politik und Bürger frühzeitig mit Hilfe einer Vorhabenliste über laufende oder anstehende Projekte. Anregungen zu Bürgerbeteiligung können daraufhin oder unabhängig davon von verschiedenen Seiten kommen. Die konkrete Ausgestaltung des Beteiligungsverfahrens wird kooperativ beraten und anschließend umgesetzt. Der Gemeinderat behält in wesentlichen Phasen das Mitsprache- und Entscheidungsrecht. Die Ergebnisse (neben den Leitlinien eine entsprechende Satzung und eine Verwaltungsvorschrift) wurden im Februar 2012 dem Oberbürgermeister der Stadt Heidelberg übergeben.
Doch ein wichtiger Schritt stand noch aus: Die Leitlinien definieren, dass die Ergebnisse von Beteiligungsverfahren vor wichtigen Entscheidungsphasen in einer breiteren Öffentlichkeit diskutiert werden. Damit soll den Entscheidungsträgern ein verlässliches Meinungsbild aus der Bevölkerung rückgespiegelt werden. »Rückkopplung« heißt dieser Schritt deshalb explizit in den Heidelberger Leitlinien. Um sich am eigenen Maßstab zu messen, wurden die Leitlinien diesem ersten Rückkoppelungsschritt unterzogen in Form einer breit angelegten, dreimonatigen Offenlegungsphase (Anfang März bis Ende Mai 2012) sowie ersten Erprobungsschritten in der Praxis.
Für die Bürgerschaft gab es ausführliche Informationen im Heidelberger Stadtblatt. Im Internet wurde eine Online-Kommentierungsfunktion eingerichtet. Es wurde zu zwei öffentlichen, gut besuchten Diskussionsveranstaltungen in der Stadthalle und der Volkshochschule breit eingeladen. Und die Mitglieder des Arbeitskreises hielten Rücksprache mit zahlreichen bürgerschaftlichen Gruppen bzw. Fraktionen des Gemeinderats, als deren Vertreter sie in den Arbeitskreis entsandt worden waren. Die Bürger nahmen in den Diskussionen die Leitlinien insgesamt sehr positiv wahr – insbesondere die »neue« Informationspolitik der Verwaltung via Vorhabenliste. Dabei waren vereinzelt kritische Stimmen zu hören, vor allem mit der Forderung nach mehr »direkter Demokratie«. Da mitgestaltende Bürgerbeteiligung jedoch dezidiert nicht die Übertragung von Entscheidungskompetenzen vom Gemeinderat an die Bürgerschaft im Sinne von mehr Bürgerentscheiden bedeutet, wurde diese Forderung nicht weiter verfolgt.
Innerhalb der Verwaltung war das Interesse an den neuen Leitlinien ebenso groß – wenn nicht gar größer: Was kommt auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch mehr Bürgerbeteiligung zu? Die Ängste vor Zeitverzögerungen und vor Mehrarbeit waren nicht zu übersehen. Mit der vollen Unterstützung des Oberbürgermeisters wurden Führungskräfte über die Leitlinien und die sich daraus ergebenden Anforderungen intensiv geschult. Die Mitarbeiterzeitung berichtete ausführlich über die neuen Leitlinien. In der verwaltungsinternen Projektgruppe »Bürgerbeteiligung« wurden die Leitlinien intensiv diskutiert. Und in mehreren Fortbildungsveranstaltungen machten sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit den neuen Regelungen vertraut.
Ende Mai lagen über 140 Einzelkommentare vor. Sie wurden von der Koordinierungsstelle Bürgerbeteiligung gesammelt, systematisiert, dokumentiert und von der Leitung des Arbeitskreises verarbeitet. Unter anderem wurden dabei drei zentrale Kritikpunkte aufgegriffen: Ein wunder Punkt der bisherigen Leitlinien ist ihre Verständlichkeit. Die Leitlinien regeln detailliert Bürgerbeteiligung in den Kompetenzbereichen des Gemeinderats und des Oberbürgermeisters. Diese Detailliertheit ist positiv. Sie macht die Leitlinien jedoch kompliziert und schwer lesbar. Deshalb wird nach der Verabschiedung durch den Gemeinderat ergänzend zum Ausgangstext eine bürgerfreundliche Variante erstellt, die die Beteiligungswege und -abläufe verständlich und knapp darlegt. Zweitens wurden besonders von Seiten der Bürgerschaft die Regelung von Bürgerbeteiligung bei der Erstellung vorhabenbezogener Bebauungspläne als noch unzureichend empfunden. Hier waren in der Vergangenheit häufig Proteste aufgeflammt. Intensive Bemühungen von Seiten der Koordinierungsstelle Bürgerbeteiligung und des Baurechtsamtes konnten in Folge der Offenlegung zu einer Präzisierung dieses Punktes beitragen. Drittens sollten – so die übereinstimmende Meinung des Arbeitskreises nach der Offenlegungsphase – die niederschwelligen Möglichkeiten zur Anregung von Bürgerbeteiligung noch deutlicher herausgestellt werden. Darüber hinaus fanden zahlreiche kleinere Anregungen einstimmig die Aufnahme in die Leitlinien.
Die jetzige Fassung der Leitlinien geht noch vor der Sommerpause zur Beschlussfassung in den Gemeinderat. Das heißt, im Herbst geht es richtig los mit Bürgerbeteiligung in Heidelberg – was auch gut ist, angesichts der zahlreichen anstehenden Projekte.

Autor/innen:
PD Dr. A. Vetter, Universität Stuttgart
Prof. Dr. H. Klages, DUV Speyer
Dipl.-Geogr. F. Ulmer, Kommunikationsbüro Ulmer Stuttgart


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